Kultur
Kiosk
Tagebuch vom 4.11.1990 bis
zum 19.11.1990
4. November 1990
Der erste Tag Kultur Kiosk. Bei der Eröffnung war viel
Betrieb, Freunde, Bekannte und Unbekannte. Meine Ansprache
war wegen der durchfeierten Vornacht etwas kurz geraten.
Aber PAVEL LISZKA hat mit seiner Einführung ziemlich
präzise angesprochen, was mir wichtig war.
CON BRIO, ein Streicherquintett von der Musikhochschule, hat
ein Kind dazu hingerissen, zu Mozart zu tanzen und zu
singen. Den Tag über haben ab und zu Leute
reingeschaut, sind manchmal geblieben, waren manchmal nur
kurz neugierig. Nachmittags spielte BERNHARD FECHNER Gitarre
und es gab eine Autorenlesung von KARIN BERENBRINKER.
Der erste Schlag kam abends mit THE BEATBURGERS. Die sagten
ihren Auftritt eine halbe Stunde vor Beginn ab.
Plötzlich passten ihnen die Konditionen nicht mehr.
Vorübergehend war die Stimmung bei uns Initiatoren
schlecht. Doch dann haben wir die Zeit dazu genutzt, unsere
Programme zu verteilen. Tatsächlich kamen nachts noch
einige Neugierige und wollten sehen, was wir anbieten.
Heute am ersten Tag war das Programm schon eine Stunde früher
fertig als geplant. Den Block mit VIDEOS VON STUDENTEN DER
FH MÜNSTER haben wir nicht bis zum Ende laufen lassen. Wir
waren müde. Thomas Klegin ist morgen
glücklicherweise bis nachts um zwölf im Kultur
Kiosk, d.h. wir müssen nicht fünfzehn Stunden lang
Aufsicht führen.
5. November 1990
Heute war ein guter Kultur Kiosk Tag. THOMAS KLEGINs Aktion
war außergewöhnlich genug, um einige Leute den
Tag über gleich mehrmals anzulocken. Zwölf Stunden
lang hat er zum Rauschen eines Fernsehers seinen Herzschlag
abgehört und aufgezeichnet. Abends bei GERÄUSCHE
UNBEGREIFLICH war der Kiosk voll. Während sich der Raum
füllte, war eine WDR-Mitarbeiterin da, um zu sehen, wie
die Lage ist. Die Lage war gut, d.h. die Besucher waren
zahlreich. Damit wurde hoffentlich das nötige Interesse
geweckt, um etwas über uns zu bringen. Während
GERÄUSCHE UNBEGREIFLICH spielte, musste ich leider mit
ANDREAS M. KAUFMANN die Körbe für die Installation
morgen abholen. THOMAS KLEGIN hat die zwölf Stunden
durchgehalten.
6. November 1990
Der Kultur Kiosk läuft gut. Heute waren über den
Tag verteilt wenigstens dreißig Leute da. Gestern war
es ähnlich. Und es sind immer andere Leute.
Die Installation von ANDREAS M. KAUFMANN war bisher die
Aktion, die uns den meisten Aufwand bereitet hat. Körbe
holen. Körbe wegbringen. Die Körbe sind stapelbare
Regalelemente für Warenlager. Andreas hat sie senkrecht
aneinandergereiht und mit etwas Abstand zur Wand an den
Wänden entlang aufgestellt. Man konnte den Kultur Kiosk
nur entlang dieses Gitterkorbaufbaus betreten.
Ich werde immer wieder danach gefragt, wie ich den
Dienstleistungsaspekt in der Kunst meine. Die von mir
beabsichtigte Diskussion findet also statt.
Heute Nacht haben sich anscheinend drei Leute eine Zeichnung
des Tages geholt.
Bisher kann ich resümieren, daß der Kultur Kiosk
besser läuft als erwartet.
7. November 1990
Am Vormittag zur MÄRCHENEZÄHLERIN war niemand und
zur DADA-LESUNG nur eine Interessentin da. FRITZ &
LAKRITZ, ein zwei Personen Zirkus für Kinder, musste,
mit fünf Kindern und sechs Erwachsenen Vorlieb nehmen.
DESTILLERY, Irish Folk Songs, hatte sich im Kreuzviertel
verfahren und kam eine halbe Stunden zu spät. Wir
hatten das Publikum schon nach Hause geschickt, weil die
Zusage der Band wegen einer Mandelentzündung nur vage
gewesen war. Bleibt neben VIDEOS VON STUDENTEN DER FH
MÜNSTER noch MANNE SPITZER mit seinem Kabarettprogramm
"Gib deinem Affen Saccharin". Zum Kabarett rechnen wir mit
viel Andrang.
Die Reporterin von der WN war heute wieder da. Damit ist das
Presseecho besser als erwartet. Ob schon überregionale
Zeitungen eingeschaltet wären. Vielleicht sollten wir
es tatsächlich versuchen.
Jetzt bin ich müde. Eine Stunde schlafen, dann MANNE
SPITZER sehen, dann meine Ausstellung aufbauen.
Bei MANNE SPITZER war wie erwatet ein voller Kiosk. Morgen
muß ich mich neben meiner Ausstellung um mehrere
Programmpunkte kümmern: Tilo Moeck und Little Sister.
die Nächte sind meine einzige freie Zeit.
8. November 1990
Man erwartet, daß der Kultur Kiosk eine
Dauereinrichtung wird. Daß zwei Wochen völlig
ausreichen, scheint nicht einzuleuchten. Aber gerade der
begrenzte Zeitraum legitimiert den Kultur Kiosk.
Ein Telefoninterview und ein Fotograf. Dann haben wir
wirklich bis zum Überdruß in den
einschlägigen Blättern gestanden.
Heute war meine Ausstellung. Abends haben JÖRG KUMMETZ
und Kollegen zu den ausgestellten Arbeiten ihre musikalische
Improvisation aufgeführt.
Immer wieder fragen Leute, ob sie auch noch ausstellen oder
musizieren können. Am 18. November ist
Schluß.
9. November 1990
Heute stellt WALDEMAR GRAMS seine Dia-Rhythmus-Komposition
aus. Mit vier Diaprojektoren, je zwei übereinander,
davor eine Drehscheibe, halb geschlossen, halb offen,
projeziert er bewegliche Bilder mit stehenden Dias. Motiv
ist ein, bis auf die Räder, mit Tuch verdeckter
Kinderwagen. Einmal wandgroß, sich langsam bewegend,
einmal klein und in schnellerem Rhythmus auf der
angrenzenden Wand.
Die Zuschauerzahl traf wieder den Durchschnitt von
dreißig bis vierzig.
10. November 1990
Morgens stand eine Lesung "Verbrauchstexte" von MANUEL
KÖSTERS auf dem Programm. Die DADA-LESUNG danach wollte
niemand hören. Überhaupt war bis zwei Uhr, solange
war ich im Kiosk, wenig los. ROMAN MENSING hat seine Sachen
schon aufgebaut, sie werden also heute und morgen zu sehen
sein.
Jetzt habe ich abgesehen von einigen kleinen,
organisatorischen Einzelheiten frei. Als erstes werde ich
eine Stunde schlafen. Dieser fast Kultur Kiosk freie Tag ist
angenehm. Das Quintett ART STARTS konnte ich mir als
Zuschauerin ansehen, konzertfein angezogen.
Heute abend hat es Spaß gemacht - den Musikern, den
Zuschauern und mir.
11. November 1990
ROMAN MENSING, Installation zu Walter Benjamins "Das
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit" und Farbfotografien. Abends
SUBKULTONKUR, 10 münsteraner Musiker setzen einen
durchschnittlichen Fabrikarbeitstag im Maßstab 1: 10
um.
12. November 1990
Mein Bett-Büro. Immer wenn ich nach Hause komme, lege
ich mich erstmal ins Bett. Schaff dir nie einen Kultur Kiosk
an.
Bis drei Uhr war wenig los, ab da fällt die Hälfte der
Programmpunkte aus, außerdem ist die Einfahrt
aufgerissen.
Das wird heute unser schwarzer Tag sein. Für BERNHARD
FECHNER mit seiner lyrischen Gitarrenmusik hoffentllich
nicht. Danach singen noch DIE TONKÖPFE, ein Chor.
Der Ista erwägt uns finanziell zu unterstützen.
Morgen ist die Sitzung.
Zur Zeit versuche ich die Theaterprobe für heute abend
zu koordinieren. Wir können keinen Proberaum finden.
Der einzige Ausweg ist Berts WG. Die Zimmer sind groß
genug.
Heute hatten wir die erste schlechte Kritik. Das Kleine
Arschloch kam und nörgelte alles an. Dieses Kleine
Arschloch gib es immer. Wahrscheinlich wird es vom Lieben
Gott selbst gesandt. Woher sollte es sonst wissen, daß
noch kein Arschloch dagewesen ist ?
Ab morgen wird es glücklichewrweise keine
Programmänderungen mehr geben. Ansonsten läuft es,
was meine Vorstellungen angeht, gut.
13. November 1990
RÜDIGER SCHÖNLEBER, Spekulative Realitäten in
Bild und Skulptur.
14. November 1990
Ich bin ziemlich am Rande der Kräfte, die sich auf
gewohnte Weise mobilisieren lassen. Wenn am Sonntag alles
vorbei ist, bin ich froh.
Rüdiger hatte gestern wenig Publikum. Bis sechs Uhr
waren zwei Besucher gekommen, danach noch einige seiner
Bekannten.
15. November 1990
Inzwischen bin ich mit meinen Aufzeichnungen im
Rückstand.
Gestern war der Tag des Publikums, über hundert
Menschen sind den Tag über dagewesen. Zur FLOHKISTE mit
Jonglage und MUSIFRATZ "Die Reise nach Lapadusien" hatten
wir Kindergruppen eingeladen. Der Rest des Tages trug sich
wieder selbst.
Heute morgen habe ich mit Markus das Bühnenbild
für die Theaterimprovisation "Expressionistische
Räumlichkeit" nach einer Idee von THOMAS LANGKAU und
TILO MOECK aufgebaut. Im Laufe des Tages werden vier
Aufführungen sein.
16. November 1990
DIE FLOHKISTE, Jonglage. MORGENSTERNREZITATION. VIDEOS VON
STUDENTEN DER FH MÜNSTER. SIEGFRIED GRUNDMANN-NEUBERT-
Komposition, Musikedition & Computermusik.
17. November 1990
BEN MC BOING, Aufrechte Politiker.
Morgen Abend ist der Kultur Kiosk zuende. Dann noch ein Tag,
um alles hin und her zu räumen.
18. November 1990
MARTIN HERMES, Malerei und Bildhauerei. VOLKER LICHT,
Performance "Der platonische Liebesbrief. DETONE PLOT,
Punkband.
19. November 1990
Jetzt ist es tatsächlich geschafft. Der Raum ist leer.
"In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken" hat VOLKER
LICHT bei seiner Selbstbefragung "Der platonische
Liebesbrief" an die Wände geschrieben. Das ist der
letzte verbliebene Hinweis auf den Kultur Kiosk.
Gestern abend nach der "Special Band" DETONE PLOT haben wir
noch mit dem Aufräumen begonnen. Die Band war speziell
genug, um unsere Stammbesucher nach jeweils wenigen Minuten
zu vergraulen. Was ganz unverfänglich mit einem
Streicherquintett angefangen hatte, endete mit einer
Punkband. Mir hat es gefallen. Zwei Stunden vor dem Auftritt
kamen die Bandmitglieder und die Fans, um den Raum zu
inszenieren. Leere Bier- und Wiskeydosen und -flaschen,
ungezählte Zigarettenkippen. Der Drummer war
schwerhörig, mir summt es zwanzig Stunden nach dem
Konzert noch in den Ohren. Mir hat die Session u.a. soviel
Spaß gemacht, weil sie der letzte Fingerzeig für
all die Kulturbeflissenen war, die die Kultur Kiosk Idee nur
auf einer Ebene bemerkt hatten. Großes Finale.
Tagsüber hatte MARTIN HERMES seine Arbeiten
ausgestellt. Seine Arbeiten sind umstritten. Er zeigt
gequälte und verformte Leiber. Das Publikum war wie
erwartet etwas befremdet.
VOLKER LICHTs Liebesbriefaktion nachmittags muß ein
guter Kontrast dazu gewesen sein. Ich war nicht dabei, habe
mir davon erzählen lassen.
Jetzt bin ich froh, daß es geschafft ist. Bleiben noch
ein paar Schreibtischarbeiten und die Geldbeschaffung zu
erledigen.
Ein Resümee? Später vielleicht.